Geschichte der Weltsprache

Bis zum 15. Jahrhundert reichte die Sprache des Volksstammes, die Mundart, für den Verkehr völlig aus; für eine deutsche Einheitssprache war das Bedürfnis nicht groß genug; daher war sie auch nicht vorhanden. Es ist kein Zufall, dass erst zu Beginn der Neuzeit, mit der Erfindung des Buchdrucks, der Einführung der Post und der allgemeinen Volksschule und der Ausbildung der Volkswirtschaft gleichzeitig auch die hochdeutsche Schriftsprache sich in ganz Deutschland durchsetzte.

In der neuesten Zeit sind wir aber mit Hilfe des Dampfschiffes, der Eisenbahn und des elektrischen Telegrafen in die Weltwirtschaft eingetreten, und da entstand die Frage: Wie verständigen wir uns mit den anderen Völkern? Mit Deutsch allein kommen wir nicht aus, das ist klar. Wir können auch nicht hoffen, dass das Deutsche einmal allgemeine Weltsprache werden wird, dazu ist es zu schwer, und auch die anderen Völker würden das nicht dulden. Heute wird zwar das Englische vielfach als Handelssprache benutzt; aber im Interesse unserer Selbsterhaltung können wir nicht wünschen, dass sich das Englische als Weltsprache durchsetzt. Die englischen Bücher und Zeitungen würden überall gelesen, Mitteilungen und Kataloge der Engländer überall verstanden werden; das würde eine gewaltige wirtschaftliche Vorzugsstellung Englands herbeiführen.

Der einzige Ausweg aus der Sprachenverwirrung ist die Einführung einer neutralen internationalen Hilfssprache für den Austausch geistiger Ideen, für den diplomatischen Verkehr, für Reise und Handel. So wie es eine internationale Notenschrift u. dergl. gibt, so ist auch eine internationale Sprache möglich. Schon vor 300 Jahren haben die großen Philosophen Leibniz und Descartes sich ernsthaft mit dem Gedanken einer Weltsprache beschäftigt. Seitdem sind mehrere hundert Entwürfe gemacht worden, von denen aber nur wenige zu praktischer Bedeutung gelangt sind.

Volapük. Im Jahre 1880 veröffentlichte der Konstanzer Pfarrer Schleyer seine Weltsprache = Volapük (vom Englischen world und speak = sprechen). Die Grammatik war größtenteils dem Latein entnommen, also nicht leicht. Bei der Wortbildung vereinfachte Schleyer die natürlichen Wörter so radikal, dass ihre Herkunft kaum mehr zu erkennen war. Die Sprache war zu künstlich und stellte große Anforderungen an das Gedächtnis; daher konnte sie ihre Aufgabe nicht erfüllen.

Esperanto. Viel besser war das 1887 von dem Warschauer Arzt Dr. Zamenhof herausgegebene Esperanto. Seine Grammatik ist einfach, die Wortstämme sind meist den natürlichen Sprachen entnommen, die Anwendung von Vor- und Nachsilben ermöglicht eine große Zahl von Wortableitungen. Dass das System gewisse Mängel aufweist, kann nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, dass es von einem 28jährigen Arzt allein geschaffen wurde. Die wichtigsten dieser Mängel sind:

  1. Esperanto verwendet außer dem lateinischen Alphabet fünf Buchstaben mit dem Überzeichen ^, die in den Druckereien nicht ohne weiteres vorhanden sind und beim Schreiben stören.
  2. Die Endungen der Mehrzahl oj, aj, uj sind unschön und schwerfällig:
    Esperanto:  La karaj gepatroj venis kaj liaj gajaj gefiloj.
    Ido:  La kara genitori venis e lia gaya gefilii.
  3. Die Grammatik wird durch die Veränderlichkeit des Adjektivs und durch den obligatorischen Akkusativ unnötig erschwert.
  4. Die Auswahl der Wörter erfolgte zwar grundsätzlich nach dem Prinzip der größten Internationalität, dieser Grundsatz ist aber in vielen Fällen verletzt worden.
  5. Der Wortschatz ist für Wissenschaft und Technik zu klein, die Ableitungs­möglichkeiten sind für wissenschaftliche Zwecke nicht immer ausreichend.

Als relativ beste Kunstsprache konnte aber Esperanto kraft seiner guten Eigenschaften zahlreiche Anhänger finden und auf vielen Gebieten des internationalen Verkehrs mit Nutzen verwendet werden.

Ido.   Anlässlich der Pariser Weltausstellung 1900 fanden viele internationale Kongresse statt. Das Bedürfnis nach einer Weltsprache äußerte sich dabei besonders stark und führte zur Gründung der »Delegation für die Annahme einer internationalen Hilfssprache«. Ihr Arbeitsprogramm wurde in folgender Erklärung niedergelegt:

  1. Die Hilfssprache muss ebenso den Bedürfnissen des täglichen Lebens wie den Zwecken des Handels und Verkehrs, wie endlich den Aufgaben der Wissenschaft zu dienen imstande sein.
  2. Sie muss für alle Personen von elementarer Durchschnittsbildung, insbesondere für die Angehörigen der europäischen Kulturwelt, leicht erlernbar sein.
  3. Sie darf keine der lebenden nationalen Sprache sein.

Bis zum Jahre 1907 waren der Delegation bereits 310 Gesellschaften von Gelehrten, Kaufleuten, Angestellten und Arbeitern sowie 1250 Professoren als Einzelmitglieder beigetreten. Sie wählten im Jahre 1907 einen internationalen Ausschuss, der aus Gelehrten und Sprachforschern von Ruf zusammengesetzt war und vom 15. bis 24. Oktober 1907 unter dem Vorsitz von Professor Wilhelm Ostwald in 18 arbeitsreichen Sitzungen etwa 30 Welt­sprache­systeme prüfte. Die Mängel des Esperanto wurden eingehend erörtert. Von dem Esperantoführer De Beaufront wurde unter dem Pseudonym »Ido« ein Projekt vorgelegt, das die Vorzüge des Esperanto bewahrt, aber seine Mängel vermieden hatte. Der Ausschuss beschloss, im Prinzip Esperanto anzunehmen, wenn es im Sinne dieses Projektes Ido verbessert würde. Obwohl Dr. Zamenhof ähnliche Reformen bereits 1894 vorgeschlagen und auch später wiederholt seine Zustimmung erklärt hatte, dass ein sachkundiger wissenschaftlicher Ausschuss seine Sprache »bis zur Unkenntlichkeit« ändere, brach er nach kurzen Verhandlungen die Beziehungen zur Delegation ab und hielt an seinem System fest. Dadurch entstand die Spaltung, an die angesichts der früheren Erklärungen Dr. Zamenhofs niemand gedacht hatte. Eine große Anzahl führender Esperantisten beteiligte sich an dem Reformwerk, das die ständige Kommission der Delegation und dann die Ido-Akademie unter Führung Dr. Louis Couturats durchführte. In öffentlicher Diskussion, die durch die internationale Zeitschrift »Progreso« geführt wurde, vollendete die Ido-Akademie in siebenjähriger wissenschaftlicher Arbeit, unterstützt von Gelehrten und Praktikern aller Berufe, ihr Werk und schuf eine Sprache, die regelmäßig und schön, logisch klar und reichhaltig ist.  »Sie bietet der größten Zahl Menschen die größte Leichtigkeit« (Prof. Jespersen – Kopenhagen).

Mit dem Erscheinen der großen Wörterbücher ist die Sprache zu einem gewissen Abschluss gelangt, und wer sich heute Ido aneignet, hat bis auf unwesentliche Einzelheiten, die sich durch den praktischen Gebrauch vielleicht noch ergeben werden, die internationale Hilfssprache der Zukunft erlernt. Natürlich arbeitet die Akademie weiter an der Vervollständigung des Wortschatzes, besonders auf wissenschaftlichen Gebieten, unterstützt von technischen Unterausschüssen.

Dass Esperanto reformbedürftig war und ist, wurde von einsichtigen Esperantisten stets anerkannt. Die Esperantisten standen aber in ihrer großen Mehrheit auf dem Standpunkt, dass Änderungen erst vorgenommen werden sollten, wenn die Weltsprache eingeführt sein wird. Wir Idisten dagegen vertreten die Auffassung, dass es unmöglich ist, die Weltsprache einzuführen, bevor sie in jeder Beziehung vollkommen ist, und dass darum eine Reform äußerst notwendig war. Esperanto reicht für die nicht nur in Wissenschaft und Technik, sondern auch im Handel und Verkehr erforderliche genaue Ausdrucksfähigkeit nicht aus. Ido erfüllt alle Anforderungen, die an eine Weltsprache gestellt werden können.

Die Reformbedürftigkeit des Esperanto führt dazu, dass die einzelnen Esperantisten jeder für sich die notwendigen Änderungen durchführen, indem sie sich meistens an Ido anlehnen. hierdurch wird die Einheit der Sprache gefährdet. Ido dagegen hat die Reformen organisiert. Alle Reformvorschläge, ebenso die gültigen Entscheidungen der Ido-Akademie, erscheinen im offiziellen Organ der Akademie (von 1907 – 1914 »Progreso«, seit 1919 »Mondo«). Hier sind die Vorschläge einer öffentlichen Diskussion aller Weltsprachler ausgesetzt. An den Arbeiten nehmen Mitglieder der verschiedensten Nationen teil. So ist Ido das Resultat einer kollektiven wissenschaftlichen Arbeit. Diese Arbeitsmethode hat dem Ido Stabilität, Einheitlichkeit und wirklich internationalen Charakter gesichert. In Ausdrucksfähigkeit und Klarheit übertrifft Ido nicht nur Esperanto, sondern sogar die natürlichen Sprachen, manche auch an Schönheit; dabei ist es die leichteste aller Sprachen.

Ido ist bereits auf der ganzen Welt verbreitet, aber noch vieles ist zu tun, bis endlich das Ziel erreicht ist: Einführung des Ido in alle Schulen der Welt. Erst dann wird Ido in Wirklichkeit eine Weltsprache sein. Trage jeder nach seinen Kräften dazu bei, dass wir bald an dieses Ziel gelangen!

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